»Ich habe verstanden, was Licht bedeutet«
— Ursula Edelmann
F.A.Z.-Foto, Frank Röth
Biografie
Ursula Edelmann, geborene Pomplitz (* 30. März 1926 in Berlin; † 7. Dezember 2024 in Hamburg), war eine deutsche Fotografin. Geboren in Berlin-Lichterfelde, wuchs sie in Berlin-Steinstücken auf. Nach Abitur, Arbeitsdienst und Kriegshilfsdienst ging sie 1946 bis 1948 bei Max Baur in Potsdam in die Lehre, die sie mit Auszeichnung beendete. Von einer »zerstörten Stadt in die andere« gelangte sie 1949, als sie nach Frankfurt am Main kam, wo sie sich nach kurzer Anstellung 1950 selbständig machte. Ihre Wahlheimat begleitete sie mit Neugier und offenem Blick. Ihre Architektur- und Kunstfotografie machten sie über die Grenzen Frankfurts hinaus bekannt. Um 2014 beschloss sie, nicht mehr zu fotografieren. Hamburg war ihre letzte Lebensstation.
Fest im Leben stehen
Im Herbst 1945 trifft Ursula Pomplitz ein letztes Mal ihren Vater. Er sitzt in russischer Kriegsgefangenschaft in Frankfurt an der Oder. Er war Chef einer Lebensversicherung und engagierter Hobbyfotograf. Später stirbt er in einem Gefangenenlager in Russland. Früh hat er ihre Begeisterung für Fotografie geweckt – in einer improvisierten Dunkelkammer in der Küche. Eigentlich schätzt sie seine pragmatischen Kommentare. Dass sie mit ihrem Klavierspiel nicht wie erhofft im Orchester spielen wird, hat er ihr mit dem Satz »Willst Du etwa als Klavierlehrerin enden?!« klar gemacht. Ein Musikstudium hatte sich danach erledigt.
Nun erzählt sie ihm von aktuellen Plänen. »Du willst Fotografin werden?«, wundert er sich. »Das ist elitär. Sieh Dich um: In dieser Zeit braucht niemand eine Fotografin – werde Lehrerin!« Das letzte, was für sie in Frage kommt! Noch einmal lässt sie sich nicht von ihrer Berufswahl abbringen. Das Kriegsende bedeutet für sie auch: Erstmals selbst Entscheidungen treffen, frei sein von Bevormundung jeder Art. So klingelt sie kurze Zeit später bei dem Potsdamer Fotografen Max Baur, der ihr in einem weißen Kittel die Tür öffnet. Nach dem Gespräch sagt er: »Am Montag kannst Du anfangen!« Eine Zeit des Aufbruchs beginnt. Ihre Lehre beendet sie 1948 mit Auszeichnung. Als einzige aus der Gruppe der Lehrlinge wird sie sich ganz der Fotografie widmen. »Weil ich jetzt fest im Leben stehen will«, hatte sie ihm ihren Berufswunsch begründet.
Ursula Pomplitz wird am 30. März 1926 in Berlin als jüngstes von drei Kindern geboren. Die Mutter sei eine Jungensmutter, fixiert auf die älteren Brüder, erinnert sie sich später. Als Tochter muss sie sehen, wie sie sich behaupten kann. Ermutigung erfährt sie, wenn überhaupt, vom Vater. Für Sport und Musik begeistert sie sich, Fotografie kommt als Leidenschaft hinzu, als sie erlebt, wie ihr Vater zuhause einen Abzug entwickelt. Nach dem Krieg ist sie mit ihrer Mutter allein, der Vater stirbt in Kriegsgefangenschaft, ein Bruder bleibt vermisst, ein anderer kehrt später aus der Gefangenschaft zurück.
Schulung des Blicks, die Arbeit in der Dunkelkammer, die Vermittlung von Wissen über physikalische und chemische Aspekte – die Ausbildung ist vielseitig. »Es kann nur eine Sonne geben – nur eine Lichtquelle, hat uns Max Baur beigebracht«, erinnert sie an eine Maxime, die sie übernahm. Auch Lebensfreude und kulturelle Interessen teilen die Lehrlinge und ihr Meister. »Es gab kaum etwas zu Essen, aber ständig Konzerte«. Eines findet im Theater im Neuen Palais statt. »Abends gingen wir da hin. Alle paar Meter standen Männer mit Laternen« – ein unvergesslicher Eindruck. Max Baur teilt mit seinen Lehrlingen auch seine Begeisterung für neue Möglichkeiten einer Welt, die im Begriff war, den Frieden zu gewinnen. »Baur las uns Hermann Hesse vor, mit dem er in Briefkontakt stand«, erinnert sie sich viele Jahre später.
Wirtschaftswunder in Frankfurt
Bald nach ihrer Gesellenprüfung hört sie 1949 eine Stellenanzeige im Radio. Eigentlich möchte sie nach Aachen, wo ihr damaliger Freund lebt. Doch nun sucht ein Fotogeschäft in Frankfurt am Main eine Mitarbeiterin. Frankfurt, das ist von Berlin aus die halbe Strecke nach Westen. Spontan entscheidet sie sich für den Umzug nach Frankfurt am Main – schwarz über die Grüne Grenze. »Ich kam von einer zerstörten Stadt in die andere«, sagt sie. Ohne Auftrag geht sie mit ihrer Rollei durch die Altstadt. Trümmerberge sind bereits abgeräumt, doch Ruinen historischer Bauten mit zerstörten Dächern prägen noch Jahre das Stadtbild.
Eine Freundin aus dem Netzwerk der Max Baur-Lehrlinge sorgt für eine erste Bleibe. Das Wirtschaftswunder braucht Bilder und eröffnet der jungen Fotografin Perspektiven. Nach einem Dreivierteljahr gibt sie ihre Anstellung auf, macht sich selbständig, was ihr Leben und Werk nachhaltig prägen wird. Die Fotofirma beauftragt sie weiter, mit der Lizenz, um auf den internationalen Frankfurter Messen zu fotografieren. Die Stände von Pelz- und Automessen hält sie nach Messeschluss im Bild fest, damit kein Publikum vor den Exponaten steht. Freiberuflich verdient sie mehr als zuvor als Angestellte.
Täglich entsteht in Frankfurt Neues. Die Deutsche Genossenschaftskasse in den Wallanlagen fällt Ursula Pomplitz auf. Sie fragt, ob sie das Gebäude fotografieren darf und erhält die Erlaubnis, allerdings ohne Verpflichtung, die Fotos zu kaufen. Als sie sie abliefert, sind alle begeistert, die Bank und der Architekt Alfred Schild, die Baufirma und die Lieferanten baulicher Details. Es ist ihr Einstieg in die Architekturfotografie. Auftraggeber empfehlen die junge Fotografin weiter. Josef Schübo ist einer von ihnen. Im Hochbauamt kümmert sich der Oberbaurat um im Krieg zerstörte oder beschädigte historische Gebäude, deren Wiederaufbau er organisiert. Kirchen werden neu und wieder aufgebaut, neue Schulen entstehen. Städtische Infrastruktur von der Großmarkthalle bis zur Feuerwache wird wiederhergestellt oder neu geschaffen – alles mit den Mitteln der Moderne. Das Karmeliterkloster dokumentiert Ursula Pomplitz noch als Ruine. Nach dem Wiederaufbau gibt es dort erste Künstlerateliers, Künstlerfeste stehen für Neubeginn, Kunst am Bau wird zu einem Thema; enge kollegiale Beziehungen und auch Freundschaften entstehen. Eine davon mit dem angehenden Kunstwissenschaftler Gottfried Edelmann, der als Student im Auftrag Schubös Ausgrabungen im Dominikanerkloster begleitet. Ursula und Gottfried werden ein Paar und heiraten 1960. Seine Karriere als Wissenschaftler endet bald, aber er bringt sie in Kontakt mit Städel und Liebieghaus. Auch nach Geburt ihres Sohnes Thomas ist sie es, die die Familie zunächst fast allein ernährt.
Festhalten, was sich ändert
Während der ersten Jahrzehnte des Wiederaufbaus hält sie im Bild fest, wie alt und neu verschmelzen, eine neue dynamische Stadt heranwächst, die mit dem beschaulichen Frankfurt vorausgehender Jahrzehnte wenig zu tun hat. Was eben noch wieder aufgebaut wird, kann bald schon umgeformt werden, wie das Schauspielhaus. Sie fotografiert für die Stadt, die Aufbauleistungen in zahlreichen Veröffentlichungen präsentiert. Dabei ist Ursula Edelmann einer Architekturfotografie verpflichtet, die den Alltag sachlich und ohne stürzende Linien darstellt und auf Personen weitgehend verzichtet. Gibt es sie doch, sind es vereinzelte Figuren, die Dimensionen des Raumes verdeutlichen. Die Auswahl von Aufnahmezeitpunkt, feinkörnigem Film und geeignetem Entwickler sowie Fotopapier erlaubt es ihr, sämtliche Aspekte von der Aufnahme bis zur Vergrößerung ihren Wünschen entsprechend zu steuern.
Mit dem Beginn des U-Bahnbaus ab 1963 hat Frankfurt kein Geld mehr, um die Stadtentwicklung kontinuierlich zu dokumentieren. Private Aufträge von Architekten oder Baufirmen treten an deren Stelle, mehr noch die Kunstdokumentation für Frankfurter Museen, Galerien und Kunstsammler. Wie schon zu Beginn ihrer Frankfurter Karriere richtet sie ihr fotografisches Auge stets auf die Stadt. Sie hat Veränderungen der Hochhauslandschaft vom Main aus im Blick, nutzt durch Abbruch freigewordene Flächen zu ungewohnten Perspektiven, etwa auf den Messeturm. Wenn andere sich zur Ruhe setzen – mit 75 Jahren – organisiert sie ihre erste große Retrospektive im Institut für Stadtgeschichte, für die sie das Refektorium des Karmeliterklosters bespielt. Die Foto-Expertin Karin Steins riet ihr dazu, die Kuratorin Martina Mettner schrieb die Texte des heute gesuchten Katalogbuches.
Sammler und Museen beginnen das Werk von Ursula Edelmann unter künstlerischen Aspekten zu würdigen. Ihre Selbstwahrnehmung verändert sich. Sah sie sich bislang vornehmlich als Handwerkerin, die nach Perfektion strebt, erscheint ihr nun auch das Wort »Kunst« im Hinblick auf das eigene Tun als treffend.
Was eben noch neu war, wird in Frankfurt ab den 1980er-Jahren erneut dynamisch verwandelt. Ohne Sentimentalität hält sie auch diesen Wandel im Bild fest, etwa die ausgeräumte Großmarkthalle, die zur EZB umgebaut wird, oder die Transformation des einstigen Bundesrechnungshofes. Dem Abriss des Henninger Turmes widmet sie eine digitale Fotoserie – auf Anregung ihrer damaligen Galeristin Marcela Munteanu (Braubachfive). Ihre Fotos der 1950er- und 1960er-Jahre begeistern auch Michael Kummer, damals Leiter der städtischen Bauaufsicht. Er gibt nicht nur Abzüge dieser Werkphase in Auftrag, sondern bittet sie, wichtige Neubauten der Stadt der 2000er-Jahre fotografisch zu interpretieren. Als Ermunterung zu qualitativem Bauen hängen ihre Fotos verschiedener Dekaden heute in den Büros und Besprechungsräumen.
In ihren letzten Lebensjahren erlebte sie die Anerkennung durch zahlreiche Ausstellungen und Veröffentlichungen. Dazu gehörte eine viel beachtete Werkschau im Museum Bensheim. Das Städel Museum kaufte einige Werke ihrer Sach- und Maschinenfotografie an und präsentierte sie im Kontext der Werke von Albert Renger-Patzsch. Das Historische Museum erwarb 2024 kurz vor ihrem Tod einen größeren Werkkomplex auf Beschluss des Stadtparlaments.
Ausstellungen
Ursula Edelmann – Fotografien, Institut für Stadtgeschichte, Karmeliterkloster, kuratiert von Martina Mettner und Gottfried Edelmann, Frankfurt am Main, 2002
Ursula Edelmann | Frankfurt am Main, Galerie Michael Neff, Frankfurt am Main, 2002/2003
Ursula Edelmann photography human sculpture, Galerie Leßmann & Lenser, Rodgau-Jügesheim, 2003
Einzelstücke und Kostbarkeiten … sowie Fotografien von Ursula Edelmann (Gruppenausstellung), Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath,
Frankfurt am Main, 2005Ursula Edelmann – Fotografien aus einer kleinen Großstadt, Ausstellungszentrum Kroch-Haus, Leipzig, 2005
Max Baur und Ursula Edelmann; Fotografien 1925–2008, Galerie Braubachfive, kuratiert von Micaela Munteanu, Frankfurt am Main, 2009
Ansichten zwischen Dom und Römer, DomRömer-Gesellschaft, Frankfurt am Main, 2011
Ansichten zwischen Dom und Römer, Galerie Braubachfive, Frankfurt am Main, 2012
Der Henninger Turm 1961–2013, Fotografie, Galerie Braubachfive, Frankfurt am Main, 2013
Die Stadt der 1950er und 1960er Jahre – Frankfurt im Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg, Kasseler Architekturzentrum, Kassel, 2014
Architekturfotografie, 1950 Frankfurt 1959, Ursula Edelmann / Georg Christian Dörr, Galerie Braubachfive, Frankfurt am Main, 2015
Treppen, Fotografien, Kunstraum Bernusstraße, Frankfurt am Main, kuratiert von Marina Grützmacher, 2015
Potsdam – Ursula Edelmann, Fotografie – Stefan Pietryga, Installation, Kunstraum Bernusstraße, Frankfurt am Main, 2016
Ursula Edelmann – Frankfurt Fotografien, Stadtkultur Museum Bensheim, Bensheim, 2018
Die Inspiration – zwei Blicke | Ursula Edelmann & Stefan Pietryga – Fotografie und Skulptur, Kunstraum Bernusstraße, Frankfurt am Main, 2020
Ursula Edelmann – Ein Leben für die Fotografie, kuratiert von Rudi Feuser und Stefanie Wetzel, Pangallery zu Gast im Kunstraum Bernusstraße, Frankfurt am Main, 2021
Stadt der Fotografinnen. Frankfurt 1844 – 2024 (Gruppenausstellung), Historisches Museum, Frankfurt am Main, 2024